Aufenthaltsrecht auf Basis des Rechts auf Privatleben

Das Bundesgericht konkretisiert seine Praxis zur Beurteilung eines Anwesenheitsrechts von ausländischen Personen allein gestützt auf das Recht auf Achtung des Privatlebens gemäss Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention. Es hat den Anspruch eines argentinischen Staatsangehörigen auf Verlängerung seiner Aufenthaltsbewilligung bejaht, der seit rund 10 Jahren in der Schweiz lebt und perfekt integriert ist.

Das Bundesgericht hat in der Vergangenheit ein Aufenthaltsrecht von ausländischen Personen allein auf Basis dieses Rechts vereinzelt bejaht, weil besondere Umstände vorgelegen haben. Dabei genügt gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung eine lange Anwesenheit und die damit verbundene normale Integration nicht. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte prüft demgegenüber die Aspekte der guten Integration im Rahmen der Rechtfertigung eines Eingriffs in das Privatleben. Ob eine Wegweisungsmassnahme im konkreten Fall mit dem Recht auf Schutz des Privatlebens vereinbar ist, beurteilt sich anhand einer Gesamtabwägung. Im Interesse der Rechtssicherheit und der Rechtsgleichheit scheint es sinnvoll, diese Gesamtbeurteilung zu strukturieren und dafür gewisse Leitlinien aufzustellen. Demnach kann nach einer rechtmässigen Aufenthaltsdauer von rund zehn Jahren regelmässig davon ausgegangen werden, dass die sozialen Beziehungen in diesem Land so eng geworden sind, dass es für eine Beendigung des Aufenthalts besonderer Gründe bedarf; im Einzelfall kann es sich freilich anders verhalten und die Integration zu wünschen übrig lassen. Es kann aber auch sein, dass schon zu einem früheren Zeitpunkt der Anspruch auf Achtung des Privatlebens betroffen ist. Liegt nach einer längeren bewilligten Aufenthaltsdauer, die zwar zehn Jahre noch nicht erreicht hat, eine besonders ausgeprägte Integration vor (nebst engen sozialen Beziehungen namentlich auch in sprachlicher, beruflicher und wirtschaftlicher Hinsicht), kann es den Anspruch auf Achtung des Privatlebens verletzen, wenn eine Bewilligung nicht erneuert wird. Nicht zuletzt liegt es in solchen Konstellationen in der Regel im Interesse der Gesamtwirtschaft, dass der Aufenthalt der betroffenen Person weiterhin möglich ist. Das grundsätzlich legitime Interesse der Schweiz, die Einwanderung zu steuern, kann unter diesen Umständen für sich alleine nicht genügen, um eine Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung zu verweigern. Im konkreten Fall lebte der Betroffene fast zehn Jahre in der Schweiz. Er ist vollkommen unbescholten, seine Integration ist sowohl in sozialer als auch in beruflich-wirtschaftlicher Hinsicht vorzüglich. Bei dieser Sachlage fehlt es an einem triftigen Grund, ihm das Aufenthaltsrecht zu entziehen (Medienmitteilung Bundesgericht; BGE 2c_105/2017).


Florenz, April 2018. (Foto: Katharina Jeger)

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